Düstere Szenerien zu freundlichen Musik-Farben - Uwe Mitsching - Nürnberger Nachrichten, 12th January 2015







Düstere Szenerien zu freundlichen Musik-Farben
Am Nürnberger Staatstheater wird die deutsche Fassung der Oper „Quai West“ von Régis Campo uraufgeführt - 12.01.2015 12:16 Uhr
Nürnberg - „Quai West“, das ist ein verrottetes, verlassenes Stück Hafen, vielleicht in Manhattan, vielleicht in Marseille. Dort spielt das 1985 uraufgeführte Theaterstück des französischen Dramatikers Bernhard-Marie Koltès und jetzt auch die Oper: komponiert von Régis Campo, uraufgeführt im September in Straßburg, jetzt als deutsche Erstaufführung und Uraufführung der deutschen Fassung am Staatstheater Nürnberg.
Für Marcus Bosch ist es nicht einfach die Wiederholung seiner Arbeit am Théatre du Rhin. „Ich hoffe auf die Neugier der Nürnberger“, sagt der Generalmusikdirektor vor der Premiere am kommenden Samstag. Denn Régis Campo, einer der führenden Komponisten Frankreichs, in der Spielzeit 2014/15 „composer in residence“ in Nürnberg, hat für die deutsche Fassung von „Quai West“ viel verändert. Ein „work in progress“ sei das 100- Minuten-Stück, das Bosch nach vier Vorstellungen in Straßburg und Mulhouse jetzt sieben Mal im Opernhaus dirigiert: mit einem veränderten Schluss, gekürzten Arien und exakter fixierten Tonhöhen für die Sänger.
Auch wenn es durch die Übersetzung ins Deutsche „viele Stolpersteine“ gibt, sagt Bosch: „Die Abläufe habe ich trotzdem im Körper.“ Besonders wohl, weil die Oper von Campo sehr „sinnlich“ ist, sehr direkt erlebbar in diesem Labyrinth verrotteter Hafenanlagen, diesem Ort zwischen Leben und Sterben, zwischen finsteren Ecken und ölig schimmernden Wasserflächen.
Dort werden die existenziellen Fragen von Mensch und Gesellschaft abgehandelt: Der bankrotte Bankier Maurice Koch sucht jemanden, der ihm die Steine in die Manteltasche steckt, die ihn in die Tiefe ziehen sollen. Für eine zerrüttete Familie und andere Figuren existiert die bürgerliche Ordnung nicht mehr. Trostlosigkeit herrscht, ein Klima von dauernder Bedrohung — in Campos Musik aber helle, lichte Farbe, eine typisch „französische Ästhetik“ mit Anklängen an Debussy. Selbst dort, wo „die niedrigsten Beweggründe des Menschlichen dominieren“, so Bosch.
Zwar haben französische Zeitungen dem Komponisten ein „Bad-Boy“Image verpasst, aber Bosch erlebt die Musik von „Quai West“ als einen Gegensatz von hintersinnigem Humor, hellen Klängen und auf der anderen Seite von Hässlichkeit, trister Umgebung, die von den E-Gitarren getragen wird. Und man begegnet im Schauspiel wie in der Oper dem Existenzialismus von Jean-Paul Sartre und der schillernden Welt der Theaterstücke von Jean Genet, als dessen Nachfolger der 1989 verstorbene Koltès vielfach empfunden wurde. Mit dessen Bruder haben die Intendanten von Nürnberg und Straßburg einen Komponisten für diese schillernde Welt gesucht. Nicht einen der aufs besonders Schwierige, Komplizierte abonnierten deutschen Tonsetzer, sondern einen, der das Publikum ansprechen kann — und der auch für die Sänger schreibt: „Da entsteht für sie geradezu eine Klangflächen-Bühne, auf der sich die Charaktere ausleben — ein gefundenes Fressen für die Darsteller.“ Bosch findet, dass „Quai West“ eine Oper ist „für Leute, die eigentlich vom Schauspiel herkommen. Man braucht keine Überforderung durch „neue Musik“ zu erwarten, es gibt sogar Ohrschmeichler — aber eine Portion Neugier sollte man mitbringen. Auch auf das Nürnberger Ensemble.
Da dominieren in den großen Charakterpartien besonders die Frauen: Leah Gordon, Michaela Maria Mayer und Leila Pfister. Die Straßburger Inszenierung von Kristian Frédric im Fabrikhallen-Bühnenbild von Bruno de Lavanère wird eins zu eins übernommen. Sie erschaffe, so urteilte etwa die Neue Zürcher Zeitung nach der Uraufführung, ein „Tableau von unfassbarer Trostlosigkeit“.
Karten-Telefon: 0 18 05/ 2 31-6 00; Direktübertragung auf Bayern Klassik am 17. 1. ab 19.30 Uhr
Uwe Mitsching
Nürnberger Nachrichten, 12th January 2015








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